Die Erfindung des Buchdruckes von Gutenberg ermöglichte einer breiteren Bevölkerungsschicht den Zugang zu reformatorischem Gedankengut und vor allem zu den Bibelübersetzungen. Besonders durch das Studium der Bibel wurde der Blick auf das neutestamentliche Gemeindeleben, somit auch auf die Taufe neu geschärft. Es entstanden Täufergemeinden, wie die Mennoniten, die die Taufe aufgrund des persönlich bekannten Glaubens praktizierten. In England entstanden kleine Gemeinden, die sich ebenfalls im Sinne des Neuen Testaments als Gemeinden von Gläubigen versammelten. Sie wehrten sich gegen die hierarchischen Strukturen der anglikanischen Amtskirche und lehnten das Staatskirchentum ab (die Verbindung von Thron und Kirche). Es entstanden Konflikte, die die junge Gemeindebewegung zwang, England zu verlassen. So floh 1606 eine kleine Gemeinde unter der Führung ihres Geistlichen J. Smith, ein ehemaliger, anglikanischer Geistlicher, von England nach Holland. Hier trafen sie auf die Mennoniten. Aus dieser Beziehung erwuchs die Erkenntnis und Praxis der Gläubigentaufe. Nun wurden sie von ihren Gegnern Baptisten genannt, weil sie ausschließlich die Gläubigentaufe praktizierten. Später schlossen sich John Smith und andere aus dieser Gemeinde den Mennoniten an. Andere kehrten wieder nach England zurück. Es entstanden dort, wenn auch unter zum Teil erschwerten Bedingungen, neue Baptistengemeinden.
Auf dem europäischen Festland wurden solche reformatorisch gesinnten Täufergemeinden durch die Täuferverfolgung vertrieben. 1639 entstand im Staat Rhode Island die erste Baptistengemeinde der heutigen USA. Dort entwickelten sie sich bis heute zu einer großen Freikirche mit vielseitigen Ausprägungen. Einige der bekanntesten Persönlichkeiten neuester Zeit sind Martin Luther King, Billy Graham und der ehemalige Präsident Jimmy Carter.
Die erste deutsche Baptistengemeinde wurde 1834 von dem gelernten Kaufmann Johann Gerhard Oncken in Hamburg gegründet. Er war Missionar einer englischen Bibelgesellschaft. Zu seinen Tätigkeiten gehörte die evangelistische Verkündigung und das Verteilen von Bibeln. In Zusammenarbeit mit dem evangelischen Pfarrer J. W. Rautenberg sorgte er für die Gründung der ersten deutschen Sonntagsschule. In ihr lernten die Kinder aus der ärmeren Bevölkerungsschicht anhand der Bibel und des Katechismus lesen und schreiben. Aus dieser Arbeit erwuchs, wenn auch in anderen Formen, der heutige Kindergottesdienst. In der evangelischen Kirche entwickelte sich daraus durch J. H. Wichern die sozialdiakonische Arbeit der inneren Mission.
Durch Onckens evangelistische Tätigkeit hatten sich die Menschen zu Gott bekehrt. Mit ihnen zusammen las Oncken intensiv die Bibel. Es wuchs das Bestreben miteinander Gemeinde im Sinne des Neuen Testaments, als Gemeinschaft von gläubig Getauften, zu gestalten. Der Amerikaner und baptistische Theologe B. Sears, der sich zu Studienzwecken in Deutschland aufhielt, taufte im April 1834 auf Onckens Bitte ihn, dessen Frau Sakra und fünf weitere Personen in der Elbe. Mit ihnen gründete Oncken die erste Baptistengemeinde Deutschlands.
Die junge Bewegung war seit ihren Anfängen durch J. G. Oncken in Hamburg verboten. Doch sie wirkten weiter. Als sich 1842 der fürchterliche Hamburger Brand ereignete, stellt die Gemeinde kurz entschlossen ihren erst kürzlich angemieteten und verborgen gelegenen Versammlungsraum den Obdachlosen zur Verfügung. Die Hamburger Behörden erkannten nun, dass die Tätigkeit dieser neuen Gemeinde sich nicht gegen das Gemeinwohl der Hansestadt Hamburg richtete. Die Baptistengemeinde wurde geduldet. Erst nach längeren Verhandlungen, dem Einreichen eines Glaubensbekenntnisses und längerer Wartezeit erhielten sie 1858 ihre Zulassung als Baptistengemeinde in der freien Hansestadt Hamburg.
Durch Onckens Reisetätigkeit, seine Kontakte zu „erwecklichen Christen“, entstanden neue Gemeinden. Die persönlich engagierte Verkündigung des Evangeliums durch Baptisten (einige waren als Bibelboten unterwegs) führte ebenfalls zu neuen Baptistengemeinden im deutschsprachigen Raum. Oft fing es mit einigen wenigen Personen an einem Ort an. Die Geschichte der Gemeinde Hameln ist hierfür ein Beispiel.
Zur Praxis der baptistischen Gemeindebewegung gehörte und gehört die Selbstständigkeit der Gemeinde vor Ort, die Glaubenstaufe als Voraussetzung zur Gemeindemitgliedschaft, die Bibel als Offenbarung Gottes und Anweisung zu Leben und Lehre und damit auch das Lesen und Studieren der Bibel, die Trennung von Kirche und Staat sowie die Religions- und Gewissensfreiheit und das allgemeine Priestertum. Diese meint: Jedes Gemeindemitglied gestaltet das Gemeindeleben mit seinen Gaben und Möglichkeiten in Verantwortung vor Gott mit; kirchliche Handlungen sind nicht an eine besonders dafür eingesetzte Person gebunden. Der Dienst theologisch ausgebildeter Personen - der Pastorinnen und Pastoren - ist von den Gemeinden gewollt.
Statt einer übergeordneten bischöflichen Struktur entstanden Gemeindebünde auf regionaler, nationaler und ab 1905 auf weltweiter Ebene. Durch sie werden bis heute Herausforderungen wahrgenommen, die eine Gemeinde vor Ort allein nicht bewältigen kann: Ausbildung der Pastoren sowie der Mitarbeiter, Diakonische Werke, Missionsgesellschaften und vieles mehr.
Durch die Eigenständigkeit der Ortsgemeinde ist das Gemeindeleben in den vielen weltweit existierenden Gemeinden unterschiedlich ausgeprägt.
Ehrenfried Reichert